1. Vorwort

Die ursprüngliche Fragestellung, die sich weitgehend mit der deckt, die in der Öffentlichkeit diskutiert wird, rückte hierbei im Verlaufe des Verfahrens etwas in den Hintergrund. Ursprünglich ging es um die Fragen

  1. warum die Anwendung des § 97 UrhG sich soweit vom intendierten Wortlaut des Gesetzes entfernt hat und § 97 a UrhG schlicht nie angewendet wird. Konkret: Wir gehen nicht davon aus, dass das Urheberrechtsgesetz selbst das Problem ist. Das Problem ist die Dynamik der Rechtssprechung, die sich in eine für die beteiligten Rechtsanwälte und Gerichte vorteilhafte Richtung entwickelt hat, da alle von hohen Streitwerten profitieren.

  2. wie konkret die Spruchkammern, Amtsgericht / Landgericht, ihre Entscheidungen begründen, bzw. ob sie tatsächlich in der Lage sind, einen Sachverhalt zu beurteilen oder ob sie sich lediglich einer vage gefühlten "Rechtssprechung" anschließen, ohne selbst in der Lage zu sein, einen Sachverhalt intellektuell zu durchdringen (Naheliegenderweise gibt es Überschneidungen zu -1. Die Dynamik lässt sich aber letztlich nur klären, wenn man intellektuelles Unvermögen, Korpsgeist und Gewinnstreben trennen kann. Da es sich um "psychologische" Phänomene handelt, das Justizpersonal sich aber nicht auf die Couch legen wird, kann man nur versuchen, aus der Qualität der Urteile Rückschlüsse zu ziehen. Wir haben also die zwei Urteile sehr intensiv, Satz für Satz, analysiert, siehe 7.4 Urteil Amtsgericht und Urteil Landgericht)

  3. sowohl die Äußerungen der Abmahn- wie auch der Gegenabmahnindustrie sind psychologisch ergiebig und lassen Rückschlüsse auf deren Selbstverständnis sowie deren Einschätzung der Öffentlichkeit zu. Gut dokumentiert ist hierbei natürlich der Rechtsvertreter des Klägers, Herr Eugen Klein von ActiveLaw. Motto: Alles Recht so. Der Schriftverkehr mit selbigem ist wahrlich opulent. Wir kommen darauf zurück. Allerdings hat es Eugen Klein inzwischen sogar auf die Spiegel Bestsellerliste geschafft, zu Deutsch, auch der Spiegel berichtet über ihn, siehe Blogger abgemahnt: 3000 Euro für ein Bild. Bei vier Millionen Abmahnungen, die sich inzwischen über die bundesdeutsche Bevölkerung ergossen haben, eine respektable Leistung, die allerdings erst nach dem Verfahren gegen die infos24 GmbH erbracht wurde, was natürlich bedauerlich ist. Psychologisch wäre es eine reizvolle Konstellation gewesen. Bei der Gegenabmahnindustrie haben wir eine deutlichere, marketingtechnisch geschickte, Unterscheidung zwischen Außendarstellung und Verfahrensweise. Hier haben wir im Vorfeld mehrere Rechtsanwälte angeschrieben und werden deren Antwortmails analysieren, siehe 4.2 Antworten auf emails.

  4. last not least hatten wir natürlich ursprünglich auch nicht nur vor, einen Beitrag zur Unterhaltung zu liefern. Wir hatten auch ein konkretes Ziel verfolgt. Das Ziel war darauf hinzuwirken, dass das Urheberrecht wieder sinnstiftend angewendet wird und vor allem die Anwendung desselben sich wieder mehr am Wortlaut des Gesetzes orientiert. Die aktuelle Rechtssprechung dient, zumindest wenn es keine internen "fifty / fifty Lösungen" gibt, Urheber und Rechtsanwalt teilen sich die Gewinne, nicht den Interessen des Urhebers. Der eigentliche Urheber, Uwe Lochstampfer erhielt schließlich 180 Euro, 360 Euro wollte er haben. Herr Klein allerdings knapp 1200 Euro. Das heißt der eigentliche Urheber ging leer aus. Das Urheberrecht ist aber auch aus anderen Gründen nicht geeignet, die Interessen des Urhebers zu wahren. Wir kommen darauf zurück, siehe 3.1 Musik, 3.2 Bilder, 3.3 Texte.

Grundsätzlich: Wie in den Präliminarien zur www.economics-reloaded.de ausführlich dargestellt und den folgenden 2000 Seiten dann erläutert, kann eine Demokratie ohne Transparenz nicht funktionieren und Transparenz erfordert engagierte Bürger. Wir halten es also für eine sehr, sehr gute Idee, dass immer mehr Leute Urteile ins Netz stellen und über persönliche Erfahrungen berichten. Allerdings sollte dies auf eine didaktisch geschickte Art erfolgen. Prozesse sind meistens für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Die Leute, die also Urteile ins Netz stellen, sollten mal vorher kurz und schnörkellos schreiben, um was es überhaupt geht. Wir haben das Problem dadurch gelöst, dass wir das Amtsgericht und Landgericht jeweils zur Stellungnahme aufgefordert und dabei die Quintessenz zusammengefasst haben.

Das Verfahren, bzw. die zwei Verfahren, vor dem Amtsgericht und vor dem Landgericht, waren zwar ergiebig, trotzdem hat sich unser Interessenschwerpunkt im Verlaufe des Verfahrens verlagert. Ursprünglich wollten wir eine Satire schreiben, irgendwas in der Art "Der Taumel Lolch im Dickicht der Justiz" (das streitgegenständliche Bild, bildete einen Taumel Lolch, ein Süßgras, ab). Hiervon sind wir dann abgewichen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich.

  1. a) Der Hauptgrund war, dass wir parallel zum Prozess, rein zufällig, auch an der www.economics-reoloaded.de gearbeitet haben. Von daher drängt es sich auf, das Justizwesen, wie das Bildungssystem und alle anderen Prozesse, die nicht über den Markt sondern über demokratische Entscheidungsprozesse gelenkt werden, eher als systemisches Problem zu begreifen. Unter einer systemischen Analyse versteht der Volkswirt die Analyse des Verhaltens von Menschen bei gegebenen Parametern. Soll heißen, diese Analyse beschäftigt sich nicht mit Individuen an und für sich, sondern mit dem regelhaften Verhalten von Menschen bei gegebenen Parametern. Der oft, unter Verkennung der Methoden der Wirtschaftswissenschaften, verschrieene homo oeconomicus ist das Produkt einer solchen Analyse. Der homo oeconomicus ist innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung eine sinnvolle Konstruktion. Die marktwirtschaftliche Ordnung sendet über die Preise Knappheitssignale aus und der homo oeconomicus reagiert darauf, indem er diese beseitigt, siehe www.economics-reloaded.de. Zu Deutsch: Der Bäcker backt keine Brötchen, weil er der Menschheit Gutes tun will, sondern weil er Geld verdienen will. Trotzdem dient aber sein Gewinnstreben dem Interesse der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt. Bei dieser Sichtweise muss allerdings der Staat eine sinnvolle Ordnung setzen. Diese nüchterne Sicht besagt aber eben auch, dass sich alle möglichen Parasiten einfinden werden, wenn die staatliche vorgegebene Ordnung diese zum Festmahl einlädt. Wir kommen darauf zurück. Wer seinen Müll im Garten anhäuft, braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn er alles mögliche Getier anzieht. Wir gehen in der www.economics-reloaded.de ausführlich auf dieses Problem ein. Die Quintessenz ist aber, dass wir, anders als Friedrich Hayek, Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, die gemeinhin als Begründer der Wirtschaftsordnung der BRD gelten, von einer rein systemischen Lösung nicht überzeugt sind. Wir werden auch hier auf diese Problematik zurückkommen.

  2. b) Es ist ganz unstrittig so, dass das Urheberrecht, bzw. dessen konkrete Anwendung durch Gerichte, das gesamte Justizsystem und vor allem die Anwaltszunft in Verruf gebracht hat. Bei geschätzten vier Millionen Abmahnungen aus unterschiedlichsten Gründen, vom fehlerhaften Impressum, "rechtsfehlerhaften" AGBs bei Shops, über unlizenzierte Nutzung von Bildern, Musik bis zum beliebten Filesharing, kennt zumindest jeder einen oder mehrere, die bereits abgemahnt wurden. Was das Vertrauen erschüttert hat ist hierbei weniger die Abmahnung selbst, die, wir kommen darauf zurück, zwar meistens sinnlos ist, sondern die völlig willkürliche Höhe des Streitwerts und die angesetzten Honorare nach der Lizenzanalogie § 97 UrhG. In unserem Fall bewegte sich der Streitwert zwischen 2000 Euro und 13000 Euro. Ohne die Abmahnindustrie wäre ein Großteil der niedergelassenen Rechtsanwälte, aktuell 160 000, was fast einer Verdoppelung in den letzten zehn Jahren entspricht, verhungert. Wir wollen also nicht bestreiten, dass das Urheberrecht für die Beklagten ein Problem ist. Das Schema ist bekannt, in Tausenden von Foren in Millionen von Einträgen durchdiskutiert. Wir werden kursorisch kurz auf das Thema Urheberrecht eingehen. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich das Thema mit der Zeit erledigt. Zum einen weil wir davon ausgehen, dass der Gesetzgeber hier eine Grenze einzieht, so dass das Kapitel Abmahnung für Rechtsanwälte unattraktiv wird, zum anderen, weil das Urheberrecht ökonomisch sinnlos ist und somit die Urheber größtenteils das Interesse daran verlieren werden. Ginge es rein um das Urheberrecht, hätte man es bei einer Satire à la "Der Taumel Lolch im Dickicht der Justiz" belassen können, was ja ursprünglich angedacht war. Das Urheberrecht ist aber, weil es so schön einfach ist, hervorragend geeignete, ein allgemeines Problem zu illustrieren. Das allgemeine Problem, für Wirtschaftswissenschaftler ein ganz zentrales Problem, besteht darin, dass Bürokratien, die keiner Kontrolle mehr unterliegen, und das scheint bei der Justiz der Fall zu sein, völlig aus dem Ruder laufen können. Theoretisch sind Richter an das Gesetz gebunden, genau genommen, soll diese Bindung einen Sinn haben, an den Wortlaut des Gesetzes. Was wir aber tatsächlich erleben, und dies wird durch diesen Einzelfall in wirklich beeindruckenderweise illustriert, gibt es manchmal, bei unscharf formulierten Gesetzen, einen weiten, sehr weiten Spielraum der subjektiven Bewertung. Dieser kann reichen von der Argumentation mit Gesetzen, die mit dem konkreten Sachverhalt gar nichts zu tun haben, so ist Richterin Benz und Rechtsanwalt Klein nur schwer auszureden, dass § 32 einen ganz anderen Sachverhalt regelt, als der, der hier zur Debatte stand, davon später, über die schlichte Ignorierung eines Gesetzes, Richter Kleybolte verweist die Frage, ob ein Paragraph anzuwenden ist in den Bereich subjektiver Bewertung, meint aber Ignorierung, auch davon später, bis zur eigenwilligen Interpretation. Kurzum: Ignorierung der Gesetzeslage, Unkenntnis der Gesetzeslage und subjektive Beurteilung eines rechtlichen Sachverhaltes ist im Grunde das Gleiche. Das mag bei anderen Gebieten ähnlich sein, aber nur beim Urheberrecht, das ja eine überschaubare Komplexität hat, kann man das so schön zeigen. Dies ist aber der Aspekt, der nun weit interessanter ist, als das Urheberrecht selbst.

  3. c) Leistungswilligkeit und Leistungsfähigkeit des eingesetzten Personals ist nun tatsächlich der Aspekt, der interessanter ist, als die Problematik Urheberrecht. Da dies der erste Prozess war, den wir mal selber führten, bis jetzt beschränkte sich die Erfahrung mit Justitia auf Agieren im Hintergrund, wenn Freunde sich mit selbiger auseinandersetzten, gab es hier tatsächlich Neues und Überraschendes zu entdecken oder, um es mal genauer zu sagen, es gab die Gelegenheit, sich mal live anzuschauen, was man sonst eigentlich nur abstrakt formuliert vorfindet. Was wir also tatsächlich versuchen werden, ist das Phänomen Justitia systemisch einzuordnen. Wir werden also zu beschreiben versuchen, dass das System gewaltige Fehlanreize bietet. Damit soll nicht behauptet werden, dass Justitia in allen Rechtsgebieten so abgedreht ist. Vermutlich ist nur der Bereich Urheberrecht so prächtig irre, weil nur in diesem Bereich der Spielraum der subjektiven Bewertung quasi unendlich ist, und weil nur in diesem Bereich der Streitwert eine so ideale Steilvorlage für Geschäftkonzepte liefert. In anderen Bereichen ist der Streitwert an irgendetwas Objektives, Konkretes gebunden, bei einer Klage gegen fristlose Kündigung an das 12 fache des Monatsgehaltes, bei Scheidung an das Jahreseinkommen der Partner, bei Kündigungen der Wohnung an die Jahresmiete etc. etc.. Im Strafrecht sind die Gebühren ohnehin gedeckelt, wobei die allermeisten Verstöße gegen das Urheberrecht zwar strafrechtlich verfolgt werden könnten, §106 UrhG, dies jedoch nie geschieht, weil es sich um Bagatellen handelt. (Wobei das keine Garantie ist. Der § 106 UrhG ist ausreichend unscharf um für subjektive Bewertung ein weites Spielfeld zu liefern. Das ist so ähnlich wie mit dem § 166 StGB, Gotteslästerung.) Der Grund für die unterschiedliche zivilrechtliche und strafrechtliche Behandlung dürfte daran liegen, dass es bei der strafrechtlichen Verfolgung nix zu verdienen gibt. Außer eben für den Staat, was aber den einzelnen Staatsanwalt nicht interessiert. Die Fragen, die uns also interessieren, sind Stücker vier. 1) Wer kontrolliert die Justiz. 2) Wie anfällig ist die Justiz für Missbrauch. 3) Wie beurteilt die Justiz, bzw. das dort angestellte Personal seine persönliche Integrität. 4) Wie lässt sich das System kontrollieren.

Dass wir uns nur oberflächlich mit dem Urheberrecht befassen, gilt nicht mehr für den letzen Teil, Abschnitt 7, wo wir uns konkret mit dem Verfahren beschäftigen, das Anlass zu dieser Untersuchung gab. Es liegt in der Natur der Dinge, dass man bestimmte Themen, wie z.B. Kompetenz / Integrität / systemische Kontrolle nur diskutieren kann, wenn man tiefer einsteigt. Das Urheberrecht dient aber dennoch nur zur Illustrierung allgemeiner Zusammenhänge.

Wer sich wirklich nur für das Urheberrecht interessiert, der kann auch gleich zu Abschnitt 7 hopsen.

 


update
Vorwort
Ausgangspunkt


Das Urheberrecht aus
oekonomischer Sicht


Abmahn und Gegenabmahnindustrie


Rahmenbedingungen
der Rechtsanwaelte
Diskussion
der Problematik ausserhalb systemischer Zusammenhaenge


Detaillierte Darstellung des Verfahrens
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