6.2 Richter im Nationalsozialismus und in der DDR

Der Autor ist ja im Nebenberuf noch Historiker, anders formuliert, er hat neuere und neueste Geschichte als erstes Nebenfach studiert. Geschichte ist nun eine weitere Herangehensweise bei der Analyse gesellschaftlicher Prozesse, die sich ebenfalls von dem Vorgehen der Wirtschaftswissenschaften radikal unterscheidet, die aber irgendwie nicht wirklich erhellend ist. Historiker argumentieren mehr oder weniger nach dem Schema XY und hat dies und jenes getan und YX das und dies und daraus ergibt sich dann dieses. Ein großes Gewicht haben die handelnden Akteure, also einzelne Figuren der Weltgeschichte, zumindest in der "bürgerlichen" Geschichtswissenschaft ist das so. In der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft ist das anders. Das bewegt sich alles nach den ehernen ökonomischen Gesetzen und der Staat kann nichts weiter tun, als den Prozess, der ohnehin vorgegeben ist, etwas zu beschleunigen. Klingt ein bisschen gaga, hatte aber in der DDR Verfassungsrang. In Artikel 2 der Verfassung der DDR lesen wir:

Kapitel 2

Ökonomische Grundlagen, Wissenschaft, Bildung und Kultur

Artikel 9
1 Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln. Sie entwickelt sich gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse und der zielstrebigen Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration.

2 Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik dient der Stärkung der sozialistischen Ordnung, der ständig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen.

3 In der Deutschen Demokratischen Republik gilt der Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller gesellschaftlichen Bereiche. Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft. Die zentrale staatliche Leitung und Planung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung ist mit der Eigenverantwortung der örtlichen Staatsorgane und Betriebe sowie der Initiative der Werktätigen verbunden.

4 Die Festlegung des Währungs- und Finanzsystems ist Sache des sozialistischen Staates. Abgaben und Steuern werden auf der Grundlage von Gesetzen erhoben.

5 Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft ist staatliches Monopol.

Die Wirtschaft entwickelt sich also gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus, also völlig unabhängig davon, ob die Menschen was tun oder nicht, aber der Staat kann dafür sorgen, dass sich die ohnehin wirkenden Gesetze schneller entfalten. Das geht also so ähnlich wie in der Raumfahrt. Will man eine Sonde auf den Mars schießen, dann muss man eben die Gravitationskräfte berücksichtigen. Der Mensch kann die ewig geltenden ehernen Gesetze der historischen Entwicklung nur für seine Zwecke nutzen, verändern kann er sie nicht. So oder so wird schlussendlich der "Kapitalismus", eigentlich heißt das Ding freie Marktwirtschaft, an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen. Soweit die Theorie.

Die historische Entwicklung war etwas anders, als es nach den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus hätte sein sollen.

Die "bürgerliche" Geschichtswissenschaft kennt solche Gesetze nicht. In der sozialistischen Geschichtswissenschaft, das gleiche gilt im übrigen für alle Gesellschaft- und Geisteswissenschaften in sozialistischen Ländern, als es diese noch gab, dient alles der Erläuterung der gesetzesmäßig sich vollziehenden ökonomischen Entwicklung. Menschen sind in diesem Weltbild der Spielball von Gesetzen. Wir gehen darauf ausführlich in der www.economics-reloaded.de ein.

Die "bürgerliche" Geschichtswissenschaft geht im Grunde so. Irgendjemand hat eine Meinung und liefert dann tonnenweise Fakten, die seine Meinung stützen. Ein anderer hat dann eine andere Meinung und liefert wiederum tonnenweise Fakten für diese, seine Meinung. Was es dazu zu sagen gibt, steht schon in Goethes Faust, wo im Übrigen so mehr oder weniger alles steht, was man wissen muss.

Wagner:
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

Faust:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die "bürgerliche" Geschichtswissenschaft mehr zur Welterklärung beiträgt, als die Wirtschaftswissenschaften, weil sie alle möglichen skurrilen Antriebskräfte für menschliches Verhalten mitberücksichtigt als da wären Patriotismus, Religion, Ideologie, Dummheit etc.. Vom Ansatz her, so könnte man meinen, ist die "bürgerliche" Geschichtswissenschaft eher fähig als die marxistische Geschichtswissenschaft oder Volkswirtschaft gesellschaftliche Prozesse als Resultat unterschiedlicher "Triebkräfte" zu begreifen als eine nomothetische, nach allgemeinen Gesetzen suchende, Wissenschaft wie die "bürgerliche" Volkswirtschaft.

Man könne also auf die Idee kommen, dass man "aus der Geschichte lernen" könne, wie es ja allenthalben behauptet wird. Tatsächlich können wir aber aus kontingenten Fakten gar nichts lernen. Es ist auch viel schlimmer, als Faust meint. Das Problem liegt nicht nur im Objekt, sondern auch im Subjekt. Dasselbe Objekt kann je nach der Perspektive unter der das Subjekt es betrachtet, in mehrere ERKENNTNISOBJEKTE zerfallen und unklar ist, welches das letztlich relevante ist und das Subjekt ist gefangen in seiner Welt aus Vorurteilen, Wissen, Stellung in der Gesellschaft, Sozialisation etc.etc.. Der Autor hat zum Beispiel mal eine Seminararbeit geschrieben über die Frage, ob der reformatorische Durchbruch Martin Luthers ("Der Gerechte lebt aus dem Glauben") vor oder nach dem Anschlag der 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche im Jahre 1517 erfolgte. Für den Autor war dies eine psychologische Frage, die Relevanz der These allein verständlich aus der psychischen Konstitution Martin Luthers und seiner Zeitgenossen, bzw. deren mehr als sprichwörtliche Höllenangst. Für den Professor war es eine theologische Frage, die über scholastische Begriffklaubereien zu klären war. Er war nicht amused.

Das Weltbild des Nationalsozialismus, um es mal anhand eines anderen Beispiels zu erläutern, ist den Schriften, Reden und Taten leicht zu entnehmen (Überlegenheit der arischen Rasse, Hypostasierung der Existenz eines Volkes, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Krieg nicht als Mittel zum Zweck sondern als Selbstzweck und ähnlicher Hokuspokus). Dies kann man entweder als Datum hinnehmen, das ist das, was allgemein getan wird, oder es als bestimmte Persönlichkeitsstruktur auffassen, das ist das, was die Studie The Authoritarian Personality tut, an der Theodor W. Adorno beteiligt war, tut.

Was der Autor sagen will, ist relativ einfach. Fakten sagen schlicht gar nichts. Ein Vortrag wie der von Frau Dr. Eva Schumann ist ganz unstreitig äußerst verdienstvoll, denn ohne Fakten, das ist naheliegend, tritt das Objekt gar nicht Erscheinung.

Wollen wir aber aus den Fakten eine Lehre ziehen, dann müssen wir in den Fakten eine Regelmäßigkeit erkennen, strukturelle Interdependenzen, bzw. "Gesetze" oder Tendenzen, die sich auf andere Situationen übertragen lassen.

Der Wandel von einer "historischen" Betrachtung hin zu einer ökonomischen Betrachtung lässt sich in der Volkswirtschaftlehre sehr klar bestimmen. Während die Klassiker, Klassiker hier als eine Richtung der VWL, also Adam Smith, Jean Baptiste Say, David Ricardo, John Lock noch intuitiv nach Gesetzen suchten, wird in der Neoklassik, Alfred Marshall, Vilfredo Pareto, Léon Walras, Carl Menger explizit nach Gesetzen gesucht. Die Suche nach Gesetzen wird zum Forschungsprogramm. Im Detail ist das alles ein bisschen komplizierter, wer sich dafür interessiert, sei es auf die www.economics-reloaded.de verwiesen.

Eine historische Darstellung wie diese Das Leitbild des Richters im Nationalsozialismus erlaubt es eben gerade nicht, bestimmte Fehlentwicklungen zu erkennen, weil so strukturelle Defizite nicht aufgezeigt werden.

Das heißt nicht, dass die Geschichte nicht unser Bewusstsein prägt, sie prägt es ganz erheblich. Sie prägt es derart, dass der deutsche Bundestag in 200 Meter Entfernung ein Denkmal für die ermordeten Menschen jüdischen Glaubens in Europa hat errichten lassen und 100 Meter gegenüber noch mal eines für die Ermorderten Sinti und Roma und noch eines für die Ermordeten Homosexuellen. Bundestagsabgeordnete haben also immer wieder Anlass, über deutsche Geschichte nachzudenken. Allen ist bewusst, dass da mächtig was "schief gelaufen" ist. Vom Ergebnis her ist das völlig eindeutig. Um es aber zu verhindern, müsste man wissen, was eigentlich konkret schief gelaufen ist.

Hier haben alle ein unbestimmtes "Bauchgefühl", wie man ja auch an der öffentlichen Debatte ablesen kann. Es ist eben nicht klar, wo der zivilisierte Rahmen aufhört und der Wahnsinn anfängt. Ab wann wird eine Kritik an Israel antisemitisch, siehe Rudolf Augstein ein Antisemit?

Die Aussagen von Thilo Sarrazin über "Kopftuchmädchen" ist zwar unstrittig sagenhaft dämlich, aber ist es derselbe Schoß, aus dem das kroch, wie Brecht es formulierte. Die Diskussion wäre einfacher, wenn man wüsste, woraus das kroch. Auch den periodisch immer wieder aufflammenden Patriotismus in allem möglichen Konstellationen, zur Fußballweltmeisterschaft, bei der Euro Krise, beim Abschmettern der Nationalhymne zu Beginn der Ära Kohl etc. etc. kann man so oder so sehen. Als Anlass für Party, mangelnder wirtschaftlicher Durchblick oder als den Versuch des Biedermanns sich mit irgendetwas aus welchen Gründen auch immer zu identifizieren. Zumindest teilweise ist es schon ein bisschen mehr als das, wobei kein Mensch weiß, was das eigentlich ist.

Es ist nicht besonders schwierig und vielleicht eine verdienstvolle Fleißarbeit, alle Parallelen zwischen der DDR Justiz und der NS Justiz aufzuzeigen. War das Einfallstor einmal das gesunde Volksempfinden, war es das andere Mal die sozialistische Ordnung, die es zu schützen galt. Beide Systeme ähneln sich des Weiteren dadurch, dass eine intensive öffentliche Diskussion kaum stattgefunden hat. Sie findet wohl erst dann statt, wenn man damit öffentlichkeitswirksam punkten kann. Zwar fragt sich Klaus Kinkel, warum er weder in seiner Zeit als Justizminister (1991 - 1992) noch in seiner Zeit als Außenminister (1992 - 1998) es unternommen hat, die NS Vergangenheit dieser Ministerien aufzuarbeiten, doch leider beantwortet er die Frage nicht. Lobend sei erwähnt, dass es in diesem Fall das Bundesjustizministerium selbst ist, das die Videos veröffentlicht, siehe http://www.uwk-bmj.de/.

Genau so spannend wäre es natürlich, wenn das Bundesministerium für Justiz die mit dem DuMont Verlag geschlossenen Verträge bezüglich des Verkaufs des Bundesanzeigers veröffentlichen würde. Es wäre schon spannend zu wissen, welcher Gewinn hier qua Gesetz dem Bundesanzeiger garantiert wurde. Wenn wegen absoluter Lappalien Bußgelder in Höhe von 25000 Euro ausgesprochen werden, dann ist das schlicht Wahnsinn. Auch beim Urheberrecht hätten wir natürlich gerne eine umfassende Darstellung, wer wen berät, wer sich gegen die Bemühungen von Leutheusser - Schnarrenberger der Abmahnindustrie ein Ende zu setzen standhaft wehrt und welche Lobbygruppen Einfluss nehmen.

Ein "Bauchgefühl“ kann man haben, ist aber, wie oben, Unabhängigkeit der Richter, bereits beschrieben, irrelevant. Die Jungs und Mädels sind harte Knochen. Reflexionen über solche Fragen laufen bei der Truppe unter der Kategorie „Schöngeistiges“. Die Truppe hält man eher mit den bewährten Methoden der Wirtschaftswissenschaften in Schach, also mit systemischer Kontrolle. Alles andere ist Träumerei.

Das Grundproblem der historischen Analyse, die zu keinen klaren Aussagen über Strukturen führt, ist, dass sie praktisch nichts bringt. Richter sind kaum philosophisch gestimmt. Das Bildungsniveau haben sie nicht und wollen es in der Fläche auch gar nicht haben. Appelliert man ihr Gewissen, wird man ihnen bestenfalls ein höhnisches Lächeln entlocken. Vielsprechender ist da schon die knallharte Kontrolle und der Nachweis offensichtlichen Fehlverhaltens. Durch philosophische Debatten sind sie nicht zu beeindrucken.

Relevanter als die ganz großen Fragen ist im Moment der schnöde Alltag. Eine Richterin, die es zulässt, dass ein Anwalt, wie in dem Verfahren, dass dieser Analyse zugrunde liegt, ihr während der Verhandlung erzählt, dass Rechtssprechung eine rein subjektive Angelegenheit sei, muss etwas nachdrücklicher darauf hingewiesen werden, dass sie an Gesetze gebunden ist und eigentlich sogar an deren exakten Wortlaut. Subjektivität der Rechtssprechung ist aber in Hannover irgendwie Standard. Denn auch Herr Kleybolte, das war dann das Landgericht, meinte, dass die Anwendbarkeit bzw. nicht Anwendbarkeit des § 51 UrhG eine Sache der rein subjektiven Bewertung sei. Ein Rechtsanwalt der Kanzlei AcitveLaw wirbt sogar mit der Biegsamkeit der Gesetze: Recht ist, was man draus macht, siehe http://www.alles-recht-so.de/Rechtsanwalt_Offenhausen.shtml.

Unter diesen Auspizien lassen uns auch die Ausführungen von Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht, geradezu die Haare zu Berge stehen.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Es gibt immer mehr Veränderungen in der Gerichtsorganisation und immer mehr Pläne für weitere Veränderungen. "Modernisierung" und "Reformen" sind politische Worthülsen, oft ohne jeden Inhalt. Die Begriffe bestimmen aber die Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen, auch bei den Gerichten. Gleichzeitig ist das Bewusstsein der Bedeutung des Rechtsstaats in Deutschland in den Medien und in der Öffentlichkeit in den letzten 15 Jahren deutlich gesunken. Das heißt: Kein Landesjustizminister kann heute noch einen politischen Gewinn erzielen, wenn er in einer Presseerklärung oder in einem Antrag im Kabinett erklärt, dass der Rechtsstaat Geld für unabhängige Gerichte benötigt.

aus: Der Weg zur Unabhängigkeit der Gerichte führt über die Leiche des Justizministers

Mit Modernisierung und Reformen meint er die Einführung der Instrumente des operativen und strategischen Controllings in der Justiz, siehe 2.2.3 Die Kosten und Leistungsrechnung in der Justiz das sind für ihn politische Worthülsen. Das sieht der Steuerzahler wohl anders und auch derjenige, der einen ökonomisch interessanten Prozess bezahlt, wie etwa Urheberrechtssachen und damit andere Verfahren, etwa Strafsachen, subventioniert, sieht das natürlich anders. Derart pauschale Aussagen wie "kein Landesjustizminister ...kann einen Gewinn erzielen..., wenn er erklärt, dass der Rechtstaat Geld für unabhängige Gerichte benötigt" sind billigste Polemik. Dass Justitia keine finanzielle Ausstattung haben soll, hat niemand behauptet. Würde ein normaler Arbeitnehmer sich derart polemisch über seinen Arbeitgeber öffentlich äußern, würde es auf jeden Fall eine Abmahnung hageln, unter Umständen eine Kündigung und es ist völlig unklar, ob er damit nicht bei Gericht durchkäme.

Allerdings haben wir hier den interessanten Fall, denn der Autor bereits prognostiziert hat, siehe Die Kosten- und Leistungsrechnung in der Justiz. Offensichtlich gibt es beim Oberlandesgericht Karlsruhe eine Zeiterfassung und die Gerichtspräsidentin hat befunden, dass Schulte-Kellinghaus ein Underperformer ist, siehe Justiz Rüffel für langsamen Richter.

Das Schicksal von Schulte-Kellinghaus scheint wohl auch dem deutschen Richterbund vor Augen zu stehen, wobei aber nicht, wie bereits mehrfach erwähnt, die Kosten- und Leistungsrechnung das Problem ist. Diese ermittelt lediglich die Personalkosten eines Verfahrens. Ob diese gerechtfertigt sind, muss man sich dann "händisch" überlegen. Dieses Verfahren kostete in der ersten Instanz 360 Euro (reine Gerichtskosten) für 20 Minuten, macht 1080 Euro pro Stunde. Abschreibungen, Strom, Heizung etc. dürfte hierbei ein Posten unter ferner liefen sein. Selbst wenn Richterin Benz die Durchschnittzeit für Urheberrechtssachen benötigte, sieben Stunden, kommt man auf einen Stundenlohn von fast 150 Euro. Das muss man in der Wirtschaft erstmal verdienen und dafür muss man in der Wirtschaft Einiges und vor allem sehr Konkretes und Objektives auf der Pfanne haben. Interessant ist nun, dass die Meinung des deutschen Richterbundes sich wohl nicht einmütiger Zustimmung unter der Richterschaft erfreuen. Denn die Klage von Thomas Schulte-Kellinghaus gegen die Ermahnung wurde abgeschmettert.

Am Ende lehnte das Richterdienstgericht die Klagen unter Bezugnahme auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 23.05.2012, Az.: 2 BvR 610/12) überwiegend ab. Vorhalt und Ermahnung seien zulässig gewesen, heißt es in der Entscheidung. Die von einem Richter zu erbringende Arbeitsleistung orientiere sich “pauschalierend an dem Arbeitspensum, das ein durchschnittlicher Richter vergleichbarer Position in der für Beamte geltenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bewältigt”.

aus: “Arrogant und überheblich”: Von fleißigen, faulen und überforderten Richtern

Das war ja auch naheliegend. Denn die Aussage, dass er sorgfältig arbeite und folglich länger brauche, ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass andere zwar schneller, aber weniger sorgfältig arbeiten. Das wird die anderen natürlich nicht erfreuen. Der Controller kann sich also auf einen gemütlichen, beobachtenden Standpunkt zurückziehen. Das hat auch der Autor, während seiner Zeit als Dozent im Bereich Controlling in der Öffentlichen Verwaltung getan, als die Stadtbibliothek mehr Geld haben wollte, aber dies irgendwo weggenommen werden musste, z.B. beim Kunstamt. Der Controller kann die Diskussion zwischen den Richtern dann abwarten. Ein Szenario, dass sich wohl auch der deutsche Richterbund vorstellen kann, weshalb man ganz prinzipiell gegen Steuerungselemente in der Justiz ist.

Die Aufarbeitung des Justizsystems der DDR und des dritten Reiches ist naheliegenderweise von elementarer Bedeutung. Desgleichen Erinnerungsstätten aller Art. Die Opfer sind vor allem daran interessiert, dass Ross und Reiter genannt wird. Noch mehr natürlich, dass die, die den aufrechten Gang gegangen sind, nicht nachträglich noch mal bestraft werden, wenn die Ratten Karriere machen, weil ihre Seilschaften noch funktionieren, die anderen von Hartz IV leben.

Es macht hier aber keinen Sinn, weil es schon Tausendmal gesagt worden ist, alle Peinlichkeiten der Justiz während der Zeit der Diktaturen und danach noch einmal aufzuarbeiten. Das gnadenlose Scheitern der Justiz hängt damit zusammen, dass ein objektiver moralischer Maßstab fehlt. Man könnte auch sagen, der gesunde Menschenverstand fehlt. Ein "Bauchgefühl" könnte suggerieren, dass eine Berufsgruppe, deren Qualifikation vorwiegend in Verbalakrobatik besteht, eher dazu neigt, des gesunden Menschenverstandes verlustig zu gehen. Das steht schon in Goethes Faust, wo ja, wie wir bereits erwähnt haben, schlicht alles steht, was man wissen muss.

Denn eben wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
mit Worten ein System bereiten,
an Worte läßt sich trefflich glauben,
von einem Wort läßt sich kein Iota rauben.

Goethe, Faust

Es gibt wahrscheinlich Leute, die schaffen eine verbale Parallelwelt, die je intensiver blüht, je mehr sie institutionell der realen Welt, die Welt also, die mit allen Sinnen wahrgenommen wird, enthoben ist. Juristen haben hier ein Maximum an Entrückung erreicht.

Wir tun also gut daran, auf die bewährten Methoden der Wirtschaftswissenschaften zurückzugreifen. Die Wirtschaftswissenschaften machen sich bekanntlich um moralische Werte keinen Kopf und versuchen auch nicht, irgendjemandem ins Gewissen zu reden. Sie gehen schlicht davon aus, dass Menschen nur ein einziges Motiv antreibt: Geld und immer mehr Geld. Genau das wirkt aber ausgesprochen stabilisierend. Natürlich ist der einzelne immer bestrebt, den Konkurrenten mit allen legalen und illegalen Methoden auszuschalten. Muss er aber über gesamtwirtschaftliche Spielregeln entscheiden, dann wird er sich für den sinnvollen Wettbewerb entscheiden, von dem er profitiert. Er wird sich z.B. wünschen, dass die Konkurrenz der Anbieter erhalten bleibt, denn hiervon profitiert er. Er wird also Parteien wählen, die den Wettbewerb aufrechterhalten, obwohl er gerne hätte, dass die Mitkonkurrenten zur Hölle fahren. Er selber will Macht und Geld, wir aber eine Partei wählen, Macht bricht. Das Kollektiv entscheidet also vernünftiger, als der Einzelne.

Ähnlich verhält es sich mit dem lange Zeit regulierten Außenhandel. Hier spielten lange Zeit "nationale Interessen" eine Rolle. Der Durchbruch, der dann auch zur Gründung der WTO (früher GATT) führte, war die schlichte Erkenntnis, dass eine Reglementierung des Außenhandels nicht "Nationen" schützt, sondern bestimmte Gruppen innerhalb einer Nation. Wird über Zölle z.B. die Textibranche gestützt, dann sind es die Konsumenten, die diesen Schutz bezahlen, denn die inländischen Textilien liegen dann über den Weltmarktpreisen, andernfalls bedürfte es keines "Schutzes".

Realistisch beurteilten David Hume und Adam Smith auch die Eroberung Südamerikas durch die Spanier, die ja vor allem von der Gier nach Gold getrieben war. Gold ist, wie Adam Smith und David Hume richtig erkannten, lediglich ein Zahlungsmittel. Produziert man mehr davon, kommt es zur Inflation, wenn der Warenkorb sich nicht ändern (die keynessche Sichtweise ist hier eine andere, aber das ist nicht unser Thema, zumal alle Könige von den Reyes Católicos bis zu Philipp II diese eh nicht verstanden hätten).

Gleiche Liga "Lebensraum im Osten". Der Volkswirt hätte sich schlicht gefragt, bei welcher Variante die termes of trades besser wären. Kann ein deutscher Arbeiter in einer Stunde einen Gegenwert von 10 russischen Arbeitsstunden erlangen, ist es günstiger, man liefert Traktoren nach Russland und erhält Weizen, Öl oder was auch immer. An die Wolga zu latschen ist schlicht ökonomischer Unsinn. (Von allen anderen Gründen mal abgesehen.)

Dem Volkswirt ist es auch völlig egal, wo etwas produziert wird, Hauptsache es ist billig.

Der Volkswirt kommt also völlig ohne Werte aus. Er kann weder mit Religion, noch mit Patriotismus, noch mit Ideologien irgendwelcher Art irgendetwas anfangen. Wer den Volkswirten den homo oeconomicus vorwirft, den rein rationalen, Gewinn optimierenden Menschen, der hat den Witz nicht verstanden. Verstehen muss man, dass der homo oeconomicus im Wettbewerb agiert und allein im Wettbewerb seine positiven Kräfte zur Entfaltung kommen. Dieser ultraschlichte Gedanke, den jeder in fünf Minuten kapiert und dessen Vorteile sich jeder zunutze macht, ist das Herz unserer Wirtschaftsordnung und damit auch das Herz unserer Gesellschaftsordnung.

Dieser Wettbewerb ist nun ganz unstreitig eine anstrengende Angelegenheit und jede Gruppe, die sich diesem Wettbwerb entziehen kann, wie z.B. Juristen, als Rechtsanwälte oder Richten, werden versuchen sich diesem Wettbewerb zu entziehen, wobei dies meistens mit einer vermeintlichen "Qualitätssicherung und Schutz des Konsumenten" gerechtfertigt wird. In der Wirtschaft haben wir die Akzeptanz des Wettbwerbs erst nach dem zweiten Weltkrieg. Dass wir ähnliche Mechanismen auch in der öffentlichen Verwaltung brauchen, ist eine Erkenntnis, die sich erst in den letzten dreißig Jahren allmählich durchsetzt. Die Justiz ist der letzte Bereich, der von dieser Entwicklung erfasst wird.

Justitia meint nun, dass sie eine ganz besondere Branche sei, und dass ihre Produkte nicht monetär bewertet werden können. Das Argument allerdings ist nicht besonders gut, denn es lässt sich auch umdrehen. Lässt sich die Produktqualität, also die Urteile, nicht bewerten, kann man auch weniger dafür bezahlen, denn die geringere Produktqualität würde niemandem auffallen. Der Preis kann also solange abgesenkt werden, bis die Unterschiede in der Produktqualität deutlich werden. Wahrscheinlich wäre das erst bei einer Richterbesoldung von 2500 Euro brutto im Monat der Fall, wobei auch dies unsicher ist, denn es könnten bei geringerer Bersoldung wesentlich mehr Richter eingestellt werden.

Wie in ähnlich strukturierten Bereichen, etwa Bildung und Gesundheitsfürsorge, zerfällt das Problem also in zwei Teile. Zum einen gilt es schlicht objektiv zu ermitteln, was die Produkte, also die Urteile, konkret kosten. Ein Preis / Leistungsverhältnis können wir naheliegenderweise nur ermitteln, wenn wir die Preise kennen. Hat man den Preis, kann man sich konkret anschauen, ob die unterschiedlichen Preise durch eine unterschiedliche Qualität oder unterschiedliche Schwierigkeitsgrade gerechtfertigt sind. Das kann z.B. durch eine öffentliche Diskussion geschehen. Voraussetzung hierfür ist die Veröffentlichung aller Urteile mit starken Suchalgorithmen nach Themengebiet, Ort, beteiligter Richter, beteiligte Rechtsanwälte und eventuell die Parteien und / oder durch eine wissenschaftliche Evaluierung, die dann ebenfalls veröffentlicht wird. Es ist vollkommen klar, dass es einen Wettbewerb nur da gibt, wo Transparenz herrscht.

Wir können bei dieser nüchternen Analyse auf philosophische Spekulationen, die dem normalen Richter ohnehin nicht zugänglich sind, verzichten. Wir brauchen uns dann keine Gedanken zu machen über irgendwelche Leitbilder, die die Rechtssprechung leiten sollen, die "hohen" wissenschaftlichen Standard, die einzuhalten sind, über den Preis, der für Rechtstaatlichkeit zu zahlen ist und Ähnliches. Wir sehen dann das Justizsystem schlicht als ein Teilsystems eines Gesamtsystems, dass über den Wettbewerb keine Machtanballung zulässt. Die letzten zwei deutschen Diktaturen haben auch eindringlich illustriert, dass das Justizsystem eher das Einfallstor für Machtmissbrauch ist, als das Schild, welches vor jenem schützt. Seine Funktion vor Machtmissbrauch zu schützen kann es nur wahrnehmen, wenn es selber daran gehindert wird, Macht zu missbrauchen.

Jutta Limbach appelliert hier lediglich an das "Gewissen" ihrer Kollegen. Das hat noch nie was gebracht, bringt nichts und wird nie was bringen. Genau wie in jedem anderen System werden auch dort alle Fehlanreize ausgenützt und genau wie in jedem anderem System wird man auch dort versuchen, sich der Kontrolle zu entziehen, eines Beweises, wie er etwa durch die Abmahnindustrie erfolgt ist, hätte es gar nicht bedurft.

 


update
Vorwort
Ausgangspunkt


Das Urheberrecht aus
oekonomischer Sicht


Abmahn und Gegenabmahnindustrie


Rahmenbedingungen
der Rechtsanwaelte
Diskussion
der Problematik ausserhalb systemischer Zusammenhaenge


Detaillierte Darstellung des Verfahrens
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